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„Im Moment nicht mehrheitsfähig“

21.06.2020

Der Amerikanist Michael Hochgeschwender über die Aussichten auf einen Regierungswechsel in den USA.

Oklahoma gilt als stramm republikanisch, „da werden die Demokraten nicht gewinnen“, sagt Michael Hochgeschwender.

Umso bemerkenswerter, dass die Ränge bei Donald Trumps Wahlkampfveranstaltung in Tulsa nicht besonders gut gefüllt waren.

„When the looting begins, the shooting begins“: Wenn es Plünderungen gibt, wird geschossen – ist ein Donald Trump mit solchen Drohungen, wie er sie zu Beginn des Aufruhrs in Minneapolis getwittert hat, heute in den USA noch mehrheitsfähig?

Hochgeschwender: Im Moment nicht, und im Grunde war er ja nie so richtig mehrheitsfähig. Schon vor vier Jahren hat er keine Mehrheit gehabt, zumindest nicht im Popular Vote an den Wahlurnen. Und in den Meinungsumfragen, die in den USA regelmäßig durchgeführt werden, hat es immer eine Mehrheit der Amerikaner gegeben, die nicht mit ihm übereinstimmt. Im Laufe der letzten Wochen hat er zudem auch bei zentralen Wählergruppen, die immer auf seiner Seite standen, etwa weißen Evangelikalen und weißen Katholiken, sehr deutlich an Zustimmung verloren. Und das Zitat, das er da getwittert hat, ist reichlich problematisch, es stammt aus einem rassistischen Kontext. Nein, im Moment zumindest ist er nicht mehrheitsfähig.

Worauf spielt Trump denn mit dem Satz an?

Hochgeschwender: Er stammt aus einem der Hot Summer, der Jahre der Rassenunruhen in den großen amerikanischen Städten. Damals, 1967, hat der Polizeipräsident von Miami damit sozusagen zum Programm erhoben, Polizei oder Nationalgarde auf Plünderer schießen zu lassen. Das war im Kontext der damaligen Zeit durchaus gang und gäbe. Die Ansage aber hat die Situation weiter eskalieren lassen.

Es ist heute von einem gespaltenen Land die Rede, von den „unvereinigten Staaten von Amerika“. Sie sagen, der Rassismus habe stets die Klassenlinie überdeckt. Wo verlaufen die tiefsten Gräben durch die amerikanische Gesellschaft?

Hochgeschwender: Die amerikanische Gesellschaft ist seit jeher tief gespalten. Es ist kein Zufall, dass in diesem Land im 19. Jahrhundert ein blutiger Bürgerkrieg stattgefunden hat zwischen den Nord- und den auf Sklaverei basierenden Südstaaten. Dieser Bruch wirkt bis heute fort. Es hat die Rassenlinien immer gegeben, die systemische Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung durch die weiße Mehrheit. Es hat aber auch innerhalb der weißen Bevölkerung Klassenkonflikte gegeben, wenn man an die gewalttätigen Streiks vor allem an der Wende zum 20. Jahrhundert denkt. Es hat immer ethno-kulturelle Konflikte gegeben, etwa die Unterdrückung der Iren, aber auch der Juden im 19. Jahrhundert, die von der gesellschaftlichen Mitte weitgehend ausgeschlossen waren. Es hat Diskriminierung gegenüber Zuwanderern gegeben, es hat Anti-Katholizismus gegeben, es hat anti-mormonische Gewalt gegeben. Zum Teil gelten diese Konflikte heute als überwunden. Sie sind aber gleichsam ersetzt worden durch die Diskriminierung zuwandernder Latinos und zuwandernder Schwarzer aus Westindien sowie die hitzige Debatte um die illegale Migration in die USA.

Aktuell sprechen die Kommentatoren durch die Bank von einer Dreifachkrise in den USA: Corona, Unruhen, Abschwung und Verarmung. In allen drei Fällen hat die Trump-Administration das Krisenmanagement gründlich verbockt. Aus purem Unvermögen oder in Teilen sogar aus Kalkül?

Hochgeschwender: Beim Umgang mit den Demonstranten von „Black Lives Matter“ lässt sich durchaus Kalkül erkennen. Trump bedient die Erwartungen seiner dominant weißen Wählerschaft im Süden und Mittleren Westen. Seine Hauptstoßrichtung sind ja eigentlich die Latinos, das hat sich mit den Unruhen etwas verschoben. Vor allem versucht er sich als Law-and-Order-Präsident in der Folge von Richard Nixon oder Ronald Reagan zu etablieren. Aber auch hier fehlt ihm eine positive Vision, die sowohl Nixon als auch Reagan immer mitvermittelt haben. Nixon war durchaus in der Lage, mit protestierenden Studenten zu diskutieren, das kann ich mir bei Trump nicht vorstellen.

Und beim Management der Corona-Krise?

Hochgeschwender: Da war es, würde ich sagen, schlicht Unfähigkeit, so als könne Trump nicht in Kategorien exponentiellen Wachstums denken. Die Wirtschaftskrise ist ein Resultat von Corona. Bevor die Pandemie ausgebrochen ist, stand die amerikanische Wirtschaft extrem gut da, was allerdings nicht bedeutet, dass es den armen Bevölkerungsschichten wirklich besser ging als zuvor. Wenn die meisten Ärmeren in den USA drei Jobs benötigen, um ihre Familie durchzubringen, zeigt das eine massive soziale Unwucht in der Gesellschaft. Man muss aber noch eine vierte Krise nennen: einen generationellen Konflikt. Unter den Demonstranten sind relativ viele junge weiße Akademiker. Das hat auch damit zu tun, dass unter Trump nicht einmal der Versuch gemacht worden ist, die mitunter schwierige Lage von Uniabsolventen abzufedern. Wenn Sie heute von einer sehr guten amerikanischen Universität abgehen, haben Sie Schulden, die Sie womöglich Ihr ganzes Leben lang abbezahlen werden. Es kommen hier also verschiedene Krisen zusammen, eine einseitige Reduktion auf das Label Antirassismus beschreibt die Lage zu undifferenziert.

Spätestens mit seiner Drohung, das Militär gegen Demonstranten einzusetzen, hat er auch die Granden der Republikaner gegen sich aufgebracht: George W. Bush, Colin Powell, James Mattis. Wäre das Partei-Establishment ihn jetzt doch lieber los?

Hochgeschwender: Das Parteiestablishment hat ihn nie geliebt. Das sucht seit drei Jahren nach einer Möglichkeit, sich von ihm zu distanzieren. Die Frage ist immer, wer hat die Freiheit, sich zu distanzieren? Die Abgeordneten im Repräsentantenhaus hängen sehr stark von Trump ab, nur wenn er Wahlkampf für sie macht, haben sie eine Chance, wiedergewählt zu werden. Jemand wie George W. Bush, der nicht mehr im politischen Geschäft ist und zudem wegen seines Bruders Jeb Bush aus dem vergangenen Wahlkampf noch eine Rechnung mit Trump offen hat, muss da keine Rücksichten nehmen.

Wo hat denn Trump noch seine Bataillone? Auch die weiße Mittelschicht und da vor allem die Wählerinnen wenden sich von Trump ab, heißt es.

Hochgeschwender: Die weißen Frauen aus Suburbia waren schon immer vergleichsweise skeptisch gegenüber Trump. Das hat verschiedene Ursachen, insbesondere achten sie stark auf Moral und Charakter, nicht gerade Trumps Stärken. Seine Stammwählerschaft sind tatsächlich verbitterte Angehörige der weißen unteren Mittelklassen in den Vorstädten, zum Teil die Facharbeiterschaft in den heruntergekommenen Industrieregionen des Nordens und des Mittelwestens, etwa Kohlearbeiter in West Virginia, Stahlarbeiter in Pennsylvania und Ohio oder Automobilarbeiter in Michigan. Dazu kommen weiße evangelikale Männer zwischen 50 und 70, weiße konservative Katholiken, die haben Gründe, für ihn zu stimmen, nicht weil sie ihn besonders lieben, sondern weil die Demokraten beispielsweise wegen ihrer Haltung zu Spätabtreibungen für sie unwählbar sind.

Seine religiöse Stammwählerschaft hat er ja kürzlich medienwirksam mit einem umstrittenen Auftritt zu umwerben versucht: In Washington hatte er eine Demonstration für sich und seine Entourage beiseite räumen lassen, nur um sich dann für die Medien vor einer Kirche aufzustellen und eine Bibel hochzuhalten. Hat das verfangen.

Hochgeschwender: Dieser Auftritt nicht so sehr, der war peinlich, das wurde auch von vielen Konservativen vor allem aus katholischen Kreisen so gesehen. Der zweite Auftritt, den er am Tag danach hinlegte, am Schrein für den Heiligen Johannes Paul II., war sehr viel sorgfältiger vorbereitet und orchestriert. Die meisten im katholischen und evangelikalen Lager nehmen ihm ohnehin nicht ab, dass er persönlich wirklich religiös sei. Interessanterweise halten die meisten konservativen Katholiken den Gegenkandidaten Joe Biden für persönlich religiöser, in Frage kommt er für sie trotzdem nicht.

In den Umfragen liegt Biden seit einem halben Jahr stabil vor Trump. Wie sehr sind diese Zahlen allein schon aufgrund der Besonderheiten des US-amerikanischen Wahlsystems mit Vorsicht zu genießen?

Hochgeschwender: Die sind wie immer mit Vorsicht zu genießen. Vor vier Jahren lag Hillary Clinton auch lange vor Trump. Interessant ist, wo Biden in den Staaten steht, auf die es ankommt. Große Zahlen von Wechselwählern gibt es nur in einer Handvoll Staaten, beim Rest weiß man das Ergebnis im Vorhinein, da muss man gar nicht wählen. In Oklahoma werden die Demokraten nicht gewinnen und in Massachusetts haben die Republikaner keine Chance. Aber wie sieht es in Wisconsin, in Michigan, wie in Ohio, Pennsylvania oder North Carolina aus, womöglich auch in Florida? In all diesen Staaten führt Biden, mit Ausnahme von North Carolina. Das Problem ist nur: Der Vorsprung in den Umfragen liegt zwischen 0,2 und 3,5 Prozentpunkten – und damit innerhalb der Irrtumsmarge von plus/minus fünf Prozentpunkten. Das ist also alles noch sehr fluide und kann sich bis zum Herbst noch ändern – in beide Richtungen.

Joe Biden gilt ja nun auch nicht gerade als der Hoffnungsträger, als ein Mann der Zukunft. Wie konnte es überhaupt zu diesem Duell kommen? Offenbart sich darin nicht generell eine strukturelle Schieflage in der Kandidatenkür?

Hochgeschwender: Tatsächlich gibt es da ein strukturelles Problem. Bei den Vorwahlen fallen beide Parteien auseinander, wenn Sie so wollen, und sortieren sich neu. Und bis dahin zählen vor allem die Parteiaktivisten: Es wird derjenige der Kandidaten gewählt, der den Parteiaktivisten besonders genehm ist. Nun ist deren Meinung nicht identisch mit der der Mehrheit des amerikanischen Volkes. Bei den Demokraten kommt noch hinzu, dass die Partei ethnisch, religiös, weltanschaulich, kulturell und ökonomisch heterogener ist als die der Republikaner. Und innerhalb dieser heterogenen Partei gibt es mindestens zwei Großmeinungen darüber, wie man die Situation ändern kann: Der eine Flügel, die klassischen Liberals, wollen die zu den Republikanern abgewanderten Stammwähler zurückholen.

Und der andere?

Hochgeschwender: Der setzt auf progressiv-emanzipatorische Politik und die Koalition mit ethnischen Minderheiten und LGBTQI-Aktivisten, mit einem Schuss Sozialismus, so etwa der Bernie-Sanders-Flügel. In dieser Konstellation hat sich Joe Biden als derjenige durchgesetzt, der das Partei-Establishment am besten repräsentiert. Er verfügt über die am besten funktionierende Parteimaschine und hat die Clintons hinter sich, die ihm zumindest den Kern der schwarzen Wählerschaft zuführen können. Das ist das Paradoxe am aktivistischen Flügel: Er beansprucht zwar, für die Schwarzen zu sprechen, die Schwarzen wählen ihn aber nicht, weil ihm hauptsächlich weiße Akademiker angehören. Sanders konnte von allen Gegenkandidaten Bidens zwar am längsten durchhalten, wohl auch, weil er mit vielen kleinen Spenden finanziell relativ gut dastand. In dem Moment, in dem die Vorwahlen in den Süden gingen und die schwarzen Wähler wichtig wurden, fiel Sanders aus dem Rennen.

Welche Rolle spielen denn die Vizepräsidenten? Wird Biden durch die entsprechende Wahl sein Manko des alten weißen Mannes ausgleichen können?

Hochgeschwender: Er hat ja schon gesagt, dass er sich auf jeden Fall für eine Frau entscheiden wird. Und vieles deutet darauf hin: für eine schwarze Frau. Da gibt es eine Reihe von Kandidatinnen, die Senatorin Kamala Harris etwa, die ja zunächst selbst zu den Vorwahlen angetreten war. Auch Keisha Lance Bottoms, die Bürgermeisterin von Atlanta, war schon im Gespräch. Der Vizepräsidenten-Posten in den USA ist vor allem im Wahlkampf interessant, weil er dazu gedacht ist, dem Kandidaten Wählergruppen zuzuführen, die er persönlich nicht anspricht. Danach ist der Vizepräsident oft bedeutungslos?

Bedeutungslos? Welche Rolle spielt dann der amtierende Vize Mike Pence?

Hochgeschwender: Er ist Trumps Verbindungsmann ins evangelikale Milieu. Man weiß, dass er sehr ehrgeizig ist und unbedingt Präsident werden will. Und man weiß auch, dass er, wenngleich selbst zunächst katholisch, eine dezidiert evangelikale politische Ausrichtung hat.

Halten Sie es für möglich, dass Trump noch vor der Wahl beleidigt hinwirft, wenn die Sache noch schlechter läuft für ihn in den kommenden Wochen und Monaten?

Hochgeschwender: Oh nein, dazu liebt er die Macht viel zu sehr. Ich fand aber die Äußerungen neulich sehr interessant, dass er sich mit einer Wahlniederlage abfinden würde. Das spricht schon dafür, dass er weiß, dass die Stimmung momentan nicht so gut ist für ihn. Wie er darauf reagiert, ist offen. Er hatte eine ähnliche Situation ja auch im Wahlkampf vor vier Jahren, als Stephen Bannon dann den ganzen Laden übernommen hat und seinen Wahlkampf noch einmal radikaler in Richtung Alt-Right, also zum rechten Rand hin, gewendet hat. Das hat damals einen neuen Schub gegeben.

Nach seiner Wahl vor vier Jahren haben sich viele damit beruhigt, dass ein irrlichternder Präsident gar nicht so viel anrichten könne, weil er doch in Institutionen eingebunden sei. War Trump nicht zumindest in dieser Hinsicht „erfolgreicher“, als alle Kritiker vorausgesehen haben?

Hochgeschwender: Viele in den USA sehnen sich ja heute angeblich nach George W. Bush zurück. Der hat immerhin einen Krieg zu verantworten, bei dem mehrere Hunderttauschend Menschen ums Leben gekommen sind. Das hat Trump nicht, das muss man auch einfach mal in dieser Deutlichkeit sagen. Als National-Populist hat er offenbar kein Interesse an moralisch aufgeladenen Kriegen. Und: Tatsächlich zeigen die amerikanischen Institutionen, zum Teil der Senat, jetzt auch das Repräsentantenhaus unter demokratischer Kontrolle, durchaus die Fähigkeit, ihm Schranken aufzuweisen. Auch die Gerichte. Selbst die Tatsache, dass der Supreme Court deutlich nach rechts gerückt ist, ändert ja nichts daran, dass er großes Interesse hat, seine Unabhängigkeit von der Regierung zu demonstrieren, was sich jetzt etwa im „Dreamer“-Urteil zeigt. Trump scheiterte vor dem Gericht mit einer Vorlage, die es leichter machen sollte, junge Migranten abzuschieben. Auch die von ihm ernannten Richter, Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh, werden, wenn sie sich als Richter ernstnehmen, nicht willige Gefolgsleute von Donald Trump sein. So gesehen also funktioniert das System. Wo Trump Verheerendes anrichtet, ist nicht auf der strukturellen, sondern auf der gesellschaftlichen Ebene. In einer Gesellschaft, die ohnehin in vielerlei Hinsicht gespalten ist, tut er aber auch rein gar nichts, um diese Spaltungen aufzuheben.

Prof. Dr. Michael Hochgeschwender ist Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der LMU.

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