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„Ethnologie ins Leben setzen“

30.07.2020

Im Zuge eines Seminars kuratierten Ethnologie-Studierende der LMU im Museum Fünf Kontinente eine Ausstellung - mit viel Engagement und Herzblut.

Studierende sitzen mit der Dozentin Krämder de Huerta auf einer Treppe im Museum Fünf Kontinente

„Die Studierenden zeigen sehr viel Eigeninitiative“,

freut sich Dozentin Krämer de Huerta (links im Bild) über die Seminarteilnehmenden. | © Museum Fünf Kontinente

„Wie wir Kontakt gehalten haben?“, lacht Linda Nowottny. „Eigentlich hat man dort nirgends Empfang, aber bei einer Finca gibt es eine Palme, an der man Signale aus Kolumbien empfängt.“ Die 22-Jährige kennt sich aus – immerhin hat sie vor einigen Jahren selbst ein paar Monate in Panama in Armila, einem Dorf der Guna verbracht.

Ein von dort stammendes Paar, Ignacio und Gladis Crespo, hatte Linda als indigene Berater bei der Konzeption ihrer Ausstellungsvitrine geholfen – dafür wurden unter besagter Palme viele Telefonate nach München geführt. „Ich habe immer darauf gewartet, meine Erfahrungen aus Armila noch mal nutzen zu können im Studium – das Praxisseminar von Dr. Krämer de Huerta war so eine gesucht – gefunden Situation“, erzählt die Bachelorstudentin, die im Nebenfach Kunstgeschichte studiert.

Denn in Armila schloss Nowottny nicht nur Freundschaft mit den indigenen Guna, sondern fasste auch den Entschluss Ethnologie zu studieren. Bereits damals machte sie sich Aufzeichnungen über das Leben der Guna, deren Zeremonien und hielt Kontakt mit Ignacio und Gladis. Ihr damals gesammeltes Wissen kommt ihr in dem Praxisseminar nun zu Gute - die Verbindung von Kunstgeschichte und Ethnologie begeistert sie besonders. „Abya Yala steht für das Ringen um Selbstbestimmung und Menschenrechte“

Gemeinsam mit sieben weiteren Studierenden realisiert sie unter der Leitung von Anka Krämer de Huerta (Mitarbeiterin am Museum Fünf Kontinente und Lehrbeauftragte an der LMU) die Ausstellung „Vernetzt, Verstrickt, Verwoben. – Anziehendes aus dem südlichen Abya Yala“. Land in voller Blüte – die Bezeichnung Abya Yala aus der Sprache der Guna aus dem heutigen Panama wird von indigenen Denker:innen und Aktivist:innen dem als eurozentrisch kritisierten Begriff Amerika vorgezogen.

„Abya Yala steht programmatisch für das Ringen um Selbstbestimmung und Menschenrechte und für die vielfältigen Antworten indigener Gemeinschaften auf den Zugriff globaler Märkte auf ihre Lebensgrundlagen“, erklärt Anka Krämer de Huerta, die am Museum Fünf Kontinente unter Anderem mit ethnografischen Fotografien arbeitet. „Doch heute sind bereits durchgesetzte Rechte wieder massiv in Gefahr und der zunehmende Druck auf indigene Gemeinschaften erreicht erneut existenzbedrohende Ausmaße“, fügt sie hinzu.

In der Ausstellung werden daher nicht einfach nur die vielfältigen Bekleidungstraditionen indigener Gruppen präsentiert, die exemplarisch für acht Regionen Lateinamerikas stehen. Design, unterschiedliche Farben und Formen stehen zwar vordergründig im Fokus, anhand der Objekte soll jedoch auch der Blick auf Kulturen und Menschen zugelassen werden, die derzeit mit extremen Herausforderungen konfrontiert sind. Akute Themen gibt es viele

Lindas Vitrine etwa zeigt nicht nur die traditionelle Kleidung der Guna in Panama. „Von der Thematik haben dazu umweltpolitische Debatten sehr gut gepasst, da die Guna derzeit sehr vom Klimawandel betroffen sind: ansteigender Meeresspiegel, Plastikmüll, veränderte Wetterbedingungen und weniger Grundwasser.“

Akute Themen gibt es tatsächlich viele: „Covid19 wird von illegalen Goldsuchern und radikalen Missionar*innen bis in abgelegene indigene Gemeinden verbreitet, selbstverständlich ohne medizinische Versorgung mitzuliefern, der lebensbedrohende Raubbau am Wald, den Böden und dem Wasser bringt ganze Ökosysteme zum Kollabieren und Menschenrechte lassen sich zunehmend schwerer durchsetzen“, zählt Krämer de Huerta auf. „Die Indigenen in Amazonien werden aktuell von vielen Seiten bedrängt. Diese und andere Themen versuchen wir nicht einfach aus dem hohlen Bauch heraus zu erzählen, sondern mit den ausgestellten Objekten in Beziehung zu setzen.“

Aus den sogenannten Molas fertigen die Guna traditionelle Blusen

Foto: Marietta Weidner, Museum Fünf Kontinente

Die Ausstellungsstücke suchten die Studierenden selbst im Depot des Museums Fünf Kontinente aus. „Die Entscheidung fiel uns gar nicht so leicht, weil es so viele spannende und interessante Objekte dort gibt“, erzählt Ira Eue, die eine Vitrine mit Maskengewändern der Karihona Kolumbiens für die Ausstellung gestaltet. Für sie ist das Praxisseminar eine ideale Ergänzung zu ihrer Forschung. Eigene Ideen einbringen und vieles ausprobieren

„Gerade arbeite ich in einem Forschungsteam mit, bei dem der Forschungsschwerpunkt auf Indigenität und auf museumsethnologischen Fragestellungen im transpazifischen Raum, also sowohl Ozeanien als auch Lateinamerika, liegt.“ Eigene Ideen einzubringen und vieles auszuprobieren gefällt Ira besonders gut an dem Seminar. Die enge Zusammenarbeit mit dem Museum habe ihr zudem spannende Einblicke gewährt.

„Durch Corona hat sich natürlich einiges verändert. Wir konnten nicht mehr vor Ort im Museum sein, sondern alles lief über Zoom – was aber immer sehr gut funktioniert hat.“ Dabei half auch, dass das Seminar über zwei Semester ging und die Gruppe bereits seit dem Wintersemester eng miteinander und mit den Objekten im Museum gearbeitet hatte.

Vitrine mit Maskengewändern der Karihona, die der Ethnologe Helmut Schindler von seiner Forschungsreise an den Río Vaupés in Kolumbien mitgebracht hat (rechts bis Mitte) und aus der Sammlung Spix und Martius vom Beginn des 19. Jhs. (links).

Foto: Marie-Theres Wandinger

Krämer de Huerta bedauert dennoch, dass die Studierenden während des Sommersemesters lange Zeit nicht alle zusammen im Museum Fünf Kontinente sein konnten, um an den Vorbereitungen für die Ausstellung teilzuhaben. „Wir haben das dann so gelöst, dass, wenn ein wichtiger Termin anstand - sei es mit den Grafikern, dem Marketing, den Museumspädagogen, den Handwerkern - zumindest ein oder zwei Studierende dazukamen und beim nächsten Termin dann andere.“ In den letzten Semesterwochen konnten wir dann Dank einer Ausnahmegenehmigung der Universität und mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen wieder im Museum Fünf Kontinente zusammen arbeiten. „Ethnologie ins Leben setzen“

Was aufgrund von Corona leider nicht möglich sein wird: Ein große Ausstellungseröffnung, zu der auch das mit Nowottny befreundete Guna Ehepaar aus Panama eigens anreisen sollte. „Wir hatten einen Vortrag und mehrere Workshops geplant. Dieses Begleitprogramm kann jetzt aufgrund von Corona leider nicht stattfinden. Wir planen aber, das Ehepaar nächstes Jahr im Sommer einzuladen und dann eine Woche mit intensiveren Veranstaltungen zu machen“, erzählt die Studentin.

Aus dem Praxisseminar hat sie dennoch viel für sich persönlich mitgenommen. Nicht nur habe es sie in ihrem Willen bestärkt, sich beruflich in diese Richtung zu orientieren: „Ich habe oft das Gefühl, dass Ethnologie so an den Institutstüren versickert und nicht viel nach außen kommt, obwohl das dringend nötig ist. Daher fand ich es schön, Ethnologie ins Leben zu setzen und nach außen zu bringen!“

Einen Blick hinter die Kulissen geben die Studierenden des Praxisseminars auf dem lmu.takeover Instagram Account.

Die Ausstellung „Vernetzt, Verstrickt, Verwoben. – Anziehendes aus dem südlichen Abya Yala“ wird ab dem 31.07.2020 im Museum Fünf Kontinente zu sehen sein.

Museum Fünf Kontinente, Maximilianstraße 42, 80538 München Di. – So. 9:30 – 17:30 Uhr

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