Nanowissenschaft
Ein Partikel – viele Funktionen
München, 23.07.2012
Nanopartikel dienen in der Medizin häufig als Transportmittel. Sie sind beladen mit Substanzen, die in ausgewählte, kranke Zellen ausschalten können. Zu diesen Verbindungen gehören kurze RNA-Stücke, sogenannte Interferenz-RNA (siRNA). Ins Zellinnere transportiert binden sie gezielt an bestimmte Abschnitte der messenger RNA (mRNA), die die Grundlage für die Bildung von Proteinen ist. Künstliche siRNA-Stücke können auf diese Weise die Synthese ausgewählter, essentieller Proteine verhindern, so dass die Zelle abstirbt.
Große Erwartungen an einen kleinen Partikel
Diese medizinisch gewollten Reaktionen im Zellinneren können Wissenschaftler inzwischen relativ gut steuern. Schwieriger ist es, die Nanopartikel von der Injektion in die Blutbahn ohne Verluste und gezielt in das erkrankte Gewebe zu bringen. Für diesen Weg müssen die Partikel gut ausgerüstet sein. Dazu gehört ein stabiles Grundgerüst und die Partikel müssen ungehindert im Blutkreislauf wandern können. Zudem sollen sie ausschließlich an die Zielzellen binden und von diesen aufgenommen werden. Und schließlich muss der eigentliche Wirkstoff aus dem Partikel freigesetzt werden, die siRNA.
Neuer Rekord in der Welt der Nanopartikel
LMU-Forscher Professor Ernst Wagner, der dem Exzellenzcluster „Nanosystems Initative Munich" (NIM) angehört, hat nun mit seinen Kollegen eine neue Methode entwickelt, mit der Partikel hergestellt werden können, die all diese Eigenschaften vereinen. Dabei handelt es sich um die bisher kleinstmöglichen siRNA-Partikel mit einem mittleren Durchmesser von 6 Nanometern. „Erst diese von uns neu entwickelte Polymertechnologie ermöglicht eine derartig funktionsreiche und gleichzeitig präzise Verpackung für den Arzneimitteltransport“, erklärt Wagner.
Den Kern bilden positiv geladene Polyamide, an die die siRNA-Moleküle gebunden sind. Eine dünne Polymerschicht verhindert unerwünschten Kontakt mit anderen Verbindungen im Blut. Zusätzlich fixieren die Wissenschaftler zwei Moleküle an die Oberfläche des Partikels: ein Folsäuremolekül, das hochspezifisch an Tumorzellen bindet. Und ein Peptid, das im Zellinneren das Vesikelbläschen zerstört, mit denen die Nanopartikel über die Zellwand eingeschleust werden. Jetzt können die siRNA-Moleküle mit ihrer Arbeit beginnen.
Tumorwachstum gestoppt
Ernst Wagner und seine Kollegen schalten versuchsweise ein Gen ab, das für die Zellteilung essentiell ist. Auf diese Weise wird das Tumorwachstum gestoppt. Die pharmazeutischen Biotechnologen konnten nachweisen, dass alle diese Faktoren für eine erfolgreiche Behandlung notwendig sind. So sind die Partikel auch in vivo lange stabil und binden ausschließlich an Zielzellen. Auch das Ausschalten der Zielgene wurde nachgewiesen. Ein weiterer für die Anwendung wichtiger Aspekt ist, dass die Nanopartikel nicht im Körper verbleiben, sondern über die Niere wieder ausgeschieden werden. Entsprechend zuversichtlich formuliert Wagner die Zukunftsaussichten: „Die von uns präsentierte neue Technologie ist eine sehr ermutigende Basis für die Entwicklung neuer siRNA und anderer Biopharmazeutika“. (ACSNano, 2012) NIM